Behinderung und Inklusion in Ruanda

12 Jan Behinderung und Inklusion in Ruanda

Bericht von Pastor Mirco Quint aus Ruanda:

Mittwoch, 10. Januar 2018 – Teil 2
„Am heutigen Tag besuchen wir einen Ort, an dem wir uns mit dem Thema Behinderung und Inklusion beschäftigen.
Inklusion ist in Deutschland seit einigen Jahren ein ganz großes Thema. Die Integrierung und gemeinsame (Schul-)Ausbildung von Menschen mit und ohne Behinderung ist staatlich gefördert und stellt an allen mir bekannten Bildungseinrichtungen ein Qualitätsmerkmal dar. In Rwanda ist das anders. Behinderte Menschen, besonders behinderte Kinder werden von den eigenen Eltern vor der Öffentlichkeit versteckt, man schämt sich ihrer, oft wird sogar die angeborene Behinderung als ein „kurzes Moment der Unachtsamkeit Gottes bei der Schöpfung eines Menschen“ verstanden. Dabei wird nicht zwischen Kindern mit einer geistigen oder körperlichen Behinderung unterschieden.
In Rwanda tritt die (angeborene) Behinderung in einem erschreckend hohem Ausmaß auf. Leider gibt es keine empirischen Erhebungen dazu, sodass Zahlenmaterial fehlt … Und doch: ganz gleich an welchen Orten ich bereits in Rwanda gewesen bin – auch bei den zurückliegenden Reisen – überall begegnen mir behinderte Kinder, wo ich die Möglichkeit erhalte, hinter die Kulissen der Gesellschaft zu blicken.
Die Ursachen der Behinderung sind schnell ausgemacht:
Zum einen der missglückte Versuch des Schwangerschaftsabbruchs bei einer ungewollten Schwangerschaft durch z.B. Vergewaltigung, Prostitution oder bei der HIV-Infizierung. „Falsche Medikamente“ und/oder Eingriffe durch medizinische Laien bringen nicht das gewünschte Resultat der Tötung des Fötus‘, sondern lediglich deren Deformierung und Beschädigung.
Eine zweite Ursache: der unzureichende Krankenversicherungsschutz.
Eine dritte Ursache: die wirkliche Unkenntnis sich selbstbezeichnender „Hebammen“, die vielerorts eine Geburt nur begleiten können, wenn wirklich alles bei der Geburt den „normalen Verlauf“ nimmt.
Eine vierte Hauptursache: Die (angeborene) Behinderung ist eine Folge einer lang anhaltenden Mangelernährung der Schwangeren. Die weltweite Kinderhilfe „Terre des hommes“ veröffentlichte im Jahr 2011 eine Studie zur genetischen Auswirkung der Mangelernährung. Das Fazit der Studie: Die Ernährung der Mutter während der Schwangerschaft sowie des Kindes während der ersten fünf Lebensjahre sind eines der Faktoren, die die Genetik eines Individuums beeinflussen können.
Mangelernährung und Unterernährung begegnen uns als Afrika-Hilfe-Stiftung (AHS) an jedem Ort unseres Engagements. Es ist aber leider nicht damit geholfen, kurzfristig für genügend Essen zu sorgen. Vielmehr muss auch hier in Rwanda eine angemessene Nahrungsergänzung bzw. Nahrungsumstellung dazu führen, dass langfristig keine Mangelerscheinungen bei Kindern und Erwachsenen zu befürchten wären.
Wie auch immer: die Zahl der behinderten Kinder in Rwanda ist riesig. Den Weg in den Kindergarten und in die Schule bleibt ihnen verwehrt. Wie wohltuend, dass es beispielhafte, ausschließlich private Initiativen gibt, die sich ausdrücklich mit dem Thema der Inklusion beschäftigen. (Eine lobende Ausnahme bilden einige staatliche Initiativen zur Ausbildung und Unterstützung von Blinden.)
Bei unserem heutigen Besuch einer solchen privaten Initiative wird uns von behinderten Kindern berichtet, die wirklich integriert sind. Jedes einzelne zeigt (sicherlich oft auch nur in kleinen Bereichen) eine erstaunliche Intelligenz/Begabung auf: sie können sich Liedtexte sehr gut merken und inhaltlich verstehen, tanzen mit Begeisterung, sind im gemeinsamen Gebet gesegnet mit einer tiefen Spiritualität oder haben eine erstaunliche Begabung für Comedy und Ironie entwickelt.
Eines ist klar: hier an diesem Ort sowie an wenigen anderen Orten des Landes haben auch die behinderten Kinder eine Würde, leider wird ihnen diese an den meisten Orten des Landes abgesprochen. Uns als Afrika-Hilfe-Stiftung ist es wichtig, unseren Beitrag zum Erhalt menschlicher Würde zu geben. Inklusion ist dabei ein wichtiges Thema.
Soweit für heute. Liebe Grüße aus Rwanda,
Mirco.“

Anmerkung: Wer sich für die oben angesprochene Studie interessiert, kann sie hier einsehen.