15 Jan Über den Völkermord und die Bedeutung der Familie in Ruanda
Samstag, 13. Januar 2018
„Am heutigen Tag haben wir keines unserer Projekte besucht. Maria Utler (über sie werde ich später noch schreiben) und ich sind zu dem Wallfahrtsort Kibeho gefahren. Dabei handelt es sich um den größten Wallfahrtsort Afrikas. Aber darum soll der heutige Bericht nicht handeln, denn die Inhalte und Erlebnisse einer Wallfahrt sind immer privat.
Auf dem Weg nach Kibeho unterhielten Maria und ich uns viel über ihre Erlebnisse, die sie während des Völkermordes 1994 hier im Land hat miterleben müssen, sowie über die gesellschaftlichen Veränderungen, die sich mit dem Genozid und den Jahren danach ereignet haben.
Während des Genozids ist die komplette Sozialstruktur des Landes zerstört worden. Fast 1,5 Millionen Menschen wurden innerhalb des 100-Tage-Krieges getötet. Viele Millionen flohen aus dem Land und leben teils heute noch im Exil. Familien, die zuvor eine Personenstärke von zwischen 20 und 60 Personen zählten, wurde auf zwei, drei in den wenigsten Familien auf vier Personen reduziert; oft waren es lediglich die kleinsten Kinder, die überlebten.
In Rwanda – wie in vielen anderen afrikanischen Staaten – basiert das gesellschaftliche Leben auf den Fundamenten der Familien. Kinder werden von den (Ur-)Großeltern erzogen. Teens und Jugendliche tragen Holz für Feuer und Wasser zum täglichen Gebrauch ins Haus. Die dazwischenliegenden Generationen arbeiten auf dem Feld und/oder anderswo, um für das nötige Einkommen zu sorgen. Ist jemand krank, kümmern sich die gesunden Familienmitglieder um die notwendige Pflege und so weiter.
Nach dem Völkermord war diese Sozialstruktur im Land nicht mehr vorhanden, schlimmer noch: sie ist für Generationen zerstört und kann nur sehr mühsam, mit einem (oder mehreren) Generation-langem Atem wieder aufgebaut und etabliert werden.
Neben zahlreichen kleineren und größeren Maßnahmen sind vor allem die zwölf Projekte der AHS in seinen Fundamenten daran ausgerichtet, eine (für den jeweiligen Ort) tragfähige und zukunftsorientierte Sozialstruktur aufzubauen. Dabei ist es wichtig die Menschen davon zu überzeugen, dass ein jeder nicht nur eine Verantwortung für seine eigene Familie übernehmen sollte, sondern auch über die Familienbande hinaus einen Beitrag zum Aufbau und zur Förderung der Gesellschaft trägt.
Das klappt nicht immer und auch nicht überall. Und doch spüren wir – über die Wirkungsjahre der AHS in Rwanda betrachtet -, dass sich im Kleinen wie im Größeren Gesellschaft neu erfindet.
Achtet einmal bei den kommenden Tagesberichten auf diesen Gedanken …!
Lieben Grüß aus Rwanda,
Mirco.“