Im April 1994 brach ein Inferno los, das in der Weltgeschichte einmalig ist. Vordergründiger Auslöser war der Abschuss der Präsidentenmaschine des damaligen ruandischen Präsidenten Habyarimana.
Hierdurch wurde eine von langer Hand geplante und präzise ausgearbeitete Tötungsmaschinerie in Gang gesetzt, der innerhalb von 100 Tagen eine Million Menschen zum Opfer fielen.
Ziel dieses – gemessen an Dauer und Intensität, grausamsten und „effektivsten“ – Völkermordes des 20. Jh waren Ruander, die zur Volksgruppe der Tutsi zählen. Doch auch gemäßigte Hutu, die sich diesem Gemetzel nicht anschließen wollten, fielen den systematisch aufgehetzten Mörderhorden zum Opfer.
Wenn heute das Land dem Augenschein nach zu den wirtschaftlich am meisten florierenden Staaten Afrikas gehört, so macht ein Blick hinter die Kulissen schnell deutlich, dass sich der Aufschwung nur auf einen kleinen Teil der Bevölkerung bezieht, und die schrecklichen Ereignisse von 1994 noch immer dunkle Schatten werfen. Psychische und kriminelle Spätfolgen dieser gesellschaftlichen Katastrophe drücken die Menschen schwer. Die boomende Wirtschaft in den urbanen Zentren erreicht die überwältigende Mehrheit der Menschen auf dem Lande nicht; hier herrscht Not und bittere Armut.
Gemessen an der Gesamtbevölkerung leben in keinem anderen Land der Welt so viele Waisen wie in Ruanda. Das Land – in der Fläche so groß wie Rheinland-Pfalz – hat ca. 12 Millionen Einwohner. Etwa 50 Prozent der Gesamtpopulation sind jünger als 17 Jahre, Hunderttausende dieser Kinder haben weder Vater noch Mutter (offizielle Schätzungen schwanken zwischen 100.000 und 400.000). Zum Teil ist dies noch immer eine Folge des Völkermordes, direkt und indirekt. Im Zuge der juristischen Aufarbeitung sitzen tausende Männer (Väter) mit und ohne ordentliche Gerichtsverhandlung in den Gefängnissen. Für die oft allein zurückbleibenden Kinder wird staatlicherseits keine Fürsorge getroffen.
In zunehmendem Maße handelt es sich bei den Waisen aber auch um Kinder, deren Eltern an Malaria, Aids, Tuberkulose und anderen Infektionskrankheiten, die nicht selten durch Hunger und Unterernährung hervorgerufen werden, gestorben sind. Die medizinische Versorgung der Landbevölkerung ist mangelhaft; ein Arzt oder eine Ärztin ist im Schnitt für etwa 25.000 Menschen zuständig. Die durchschnittliche Lebenserwartung auf dem Lande beträgt etwa 46 Jahre; viele Kinder sterben, bevor sie das fünfte Lebensjahr erreicht haben.