In einem Land mit so existentiellen Problemen wie Ruanda ist die Betreuung und Förderung von Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen eine große Ausnahme. Über Jahre hinweg war unser Haus „Glaube und Licht“ nach unserer Kenntnis das einzige Heim in Ruanda, in dem elternlose Kinder mit geistiger Behinderung aufgenommen wurden.
Auch wenn wir eine sonderpädagogische Förderung, wie wir sie etwa in Europa kennen, bisher nicht bieten können, so ist doch die Liebe und Herzlichkeit, mit der die acht Erzieherinnen ihre Aufgabe erfüllen, immer wieder tief beeindruckend. Fünf von ihnen tun dies übrigens rund um die Uhr, da sie kein eigenes Zuhause haben und mit den Jugendlichen zusammen wohnen.
Von keinem unserer jungen Menschen kennen wir das Geburtsdatum. Sie wurden gefunden, im Wald, auf der Straße, oder sie wurden vor dem Heim abgelegt. Denn noch immer ist die Geburt eines behinderten Kindes für viele Familien auf dem Land ein negatives Stigma.
Die Geschichte von Evelyne steht hier stellvertretend für das Schicksal von behinderten Kindern in Ruanda.
Kinder und Jugendliche mit Behinderung
Erzieherinnen zur Versorgung und Förderung
Euro monatliche Finanzierung durch die Stiftung
Evelyne wurde 2005 in Ngoma bei Butare geboren. Bei der Geburt, bei der sie schwere Schädigungen erlitten hat, verstarb ihre Mutter. Der Vater war nicht in der Lage, den mehrfach behinderten Säugling großzuziehen. Er gab Evelyne in das örtliche Waisenhaus. Kinder, die noch Verwandte haben, können hier jedoch nur bis zu ihrem vierten Lebensjahr bleiben. Also wurde Evelyne 2009 wieder ihrem Vater übergeben. Nach einiger Suche glaubte er, mit einem Waisenhaus in Kamonyi eine geeignete Bleibe für seine Tochter gefunden zu haben. Hier wurde sie mit einem Körpergewicht von 20 kg aufgenommen. Nach einem Jahr wurde sie mehr tot als lebendig abermals ihrem Vater zurückgegeben – sie wog gerade noch 5 kg. In seiner Not wandte er sich an die örtlichen Behörden.
Wer nun meint, dass in einem Land, das vorgibt, führend in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung Afrikas sein zu wollen, neben der Staatsanwaltschaft endlich eine medizinische Intensivbetreuung ins Spiel kommt, irrt. Niemand traute den hiesigen Krankenhäusern zu, dieses Menschenleben noch retten zu können. Evelyne war praktisch aufgegeben bis eine Sozialarbeiterin in Ngoma meinte, die Einzige, an die man ein solches Kind noch geben könne, sei Josepha.
Im Juli 2010 wurde Evelyne unserem Haus „Glaube und Licht“ anvertraut. Gertrud, eine unserer Erzieherinnen, wurde ausschließlich mit ihrer Betreuung beauftragt. In den ersten Tagen und Wochen ging es um ihr bloßes Überleben. Sie wurde dem Krankenhaus vorgestellt, verblieb aber in unserem Haus.
Kurz vor der Abreise von Jo Küpperfahrenberg nach Ruanda im November 2010 hatte der Kindergarten St. Barbara in Essen-Byfang wieder einen „Lebenslauf“ zugunsten unserer Stiftung durchgeführt. Die Afrika-Hilfe-Stiftung entschied sich spontan, mit diesem Geld Evelynes Rehabilitation einzuleiten. Eine solche Behandlung ist in Ruanda nicht vorgesehen und wird von keiner Kasse übernommen. Noch während des Aufenthaltes von Jo Küpperfahrenberg in Ruanda wurde nach einer Klinik gesucht, die geeignet und bereit war, Evelyne zusammen mit ihrer Betreuerin aufzunehmen.
2011: Evelyne
Im März ist es Josepha, der Leiterin unseres Hauses, gelungen, Agathe, eine japanische Krankenschwester zu finden, die fünfmal in der Woche zur physiotherapeutischen Behandlung von Evelyne ins Haus kommt (Kosten: 32 €/Monat).
Leider muss Agathe Ruanda im Juli wieder verlassen. Sie wird in ihrer Heimat im Zuge der Reaktorkatastrophe von Fukushima dringend benötigt.
Gertrud, eine unserer Erzieherinnen, hat ihre ganze Kraft für Evelyne eingesetzt. Aber auch die anderen Kinder haben sie längst in ihr Herz geschlossen.
Evelynes Zustand ist recht stabil. Sie wiegt mittlerweile 15 kg, und ihre Muskulatur wird gezielt aufgebaut und trainiert. Sie nimmt das Leben um sie herum in passiver Form wahr.
Mit ihren sechs Jahren ist sie jedoch weit davon entfernt, eigenständig sitzen zu können.
Nach Konsultationen in ruandischen Krankenhäusern haben wir uns nun doch entschieden, sie zu einer längeren Behandlung nach Goma (Ostkongo) zu bringen. Trotz ihrer eigenen Krebserkrankung möchte Gertrud es sich nicht nehmen lassen, sie zu begleiten.
2012: Evelyne hat gelernt zu lachen.
Alle Bewohner unseres Hauses versuchen sich nach ihren Möglichkeiten, für das Wohl aller einzusetzen. Doch die kleine Evelyne haben alle ganz besonders ins Herz geschlossen.
Noch immer ist sie auf breiige Nahrung angewiesen, jeder Schluck ist ein kleiner Kampf. Doch macht sie von Monat zu Monat Fortschritte.
Auch wenn sie mit ihren 7 ½ Jahren noch lange nicht selbständig sitzen kann, ermöglicht der Rollstuhl mit den passenden Fixierungsmöglichkeiten ihr eine weitgehende Teilhabe am Gemeinschaftsleben.
Zu orthopädischen und krankengymnastischen Behandlungen ist Evelyne seit Juni 2011 zusammen mit ihrer Betreuerin Gertrud immer wieder für mehrere Monate im Ost-Kongo im Centre Handicapé in Goma.
Jo Küpperfahrenberg ist für mehrere Tage nach Goma gefahren.
Evelyne und Gertrud haben aus Sicherheitsgründen die zu dieser Zeit sehr umkämpfte Stadt, die sich mitten im Kriegsgebiet befindet, verlassen müssen.
Jo hat sich dennoch ein Bild von den Möglichkeiten, die das Therapiezentrum bietet, machen können und mit dem verantwortlichen Arzt und dem Therapeuten die weitere Behandlung Evelynes besprochen.
Die Hoffnung ist, dass Evelyne bald wieder zurückkehren und die notwendige Behandlung wieder aufnehmen kann.
Im Oktober 2012 besuchen Jo Küpperfahrenberg und seine Frau Bea, die seit zwei Jahren im Vorstand unserer Stiftung mitarbeitet, wieder Ruanda.
Die Handpuppe Sammy – eine Spende der Firma Kumquats – reist mit nach Ruanda, um Freund und therapeutischer Begleiter zu werden.
Bei ihren Besuchen im Hause „Glaube und Licht“ sind sie immer wieder beeindruckt, mit wie viel Liebe, Empathie, aber auch Geduld die zum Teil schwer und mehrfach behinderten oder traumatisierten Kinder gepflegt und umsorgt werden – nicht nur von den Erzieherinnen.
Mittlerweile werden hier 28 elternlose Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung von acht Erzieherinnen betreut.
Providence spielt auf der neuen Mundharmonika vor. Das Instrument war Teil des großen Geschenkpaketes, das Schüler der Comenius-Schule, einer Schule mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung in Essen-Burgaltendorf, mitgegeben haben. Mit einer großen Autowaschaktion finanzierten sie den Kauf von vielfältigem Spiel- und Fördermaterial für ihre ruandischen Freunde.
Zunehmend sind es Kinder mit schwersten Behinderungen, die unserem Haus anvertraut werden. Um ihre Versorgung und Förderung zu gewährleisten, haben wir das Personal auf acht Erzieherinnen erweitert.
Die monatlichen Kosten für alle 36 Personen, die nun hier leben, belaufen sich auf rund 1000 €.
Manche mögen sich vielleicht fragen, ob es angemessen ist, in einem Land, in dem so viele Menschen hungern und so viele Grundbedürfnisse unbefriedigt bleiben müssen, einen so großen Fokus auf ein Einzelschicksal wie jenes von Evelyne zu richten.
So verständlich die Frage auch ist, so eindeutig ist unsere Antwort.
Das Leben Evelynes ist uns anvertraut worden. Mit dem Tag ihrer Ankunft in „Glaube und Licht“ ist sie zu unserer Aufgabe geworden. Ihr Überleben war (und ist) ungewiss. Wir werden alles Verantwortbare daran setzen, ihr weiteres Leben menschenwürdig zu machen.
2012
Langsam aber zielstrebig krabbelt Gerard zum Lichtstreifen, der durch die fast geschlossene Tür in den Gemeinschaftsraum dringt. Ungeschickt verrenkt suchen seine Finger das hereinfallende Licht, wollen den Spalt der Tür weiter öffnen. Er liebt die Sonne, den Wind, die Freiheit. Gerard ist 16 Jahre alt.
Ich öffne die Tür, um ihn hinaus zu lassen. Sofort krabbelt er los und legt sich ins warme Sonnenlicht. Er liegt auf der Seite, alle Viere von sich gestreckt. Seine Füße sind deformiert. Sich aufrichten, gar laufen oder sprechen kann er nicht. Er konnte es nie lernen. Seine Lehrer, seine Freunde waren die Schweine.
Gerard hat eine nicht weiter diagnostizierte, vielleicht angeborene Behinderung. Sein Vater sitzt seit Jahren im Gefängnis. Seine alleinerziehende Mutter war mit acht weiteren Kindern völlig überfordert. In ihrer Not sperrte sie ihn in den Stall zu den Schweinen. Unter ihnen ist er aufgewachsen. Von ihnen wurde er sozialisiert, ihr Verhalten ahmt er nach. Keine Menschen, nur die Schweine und er – jahrelang. Im Frühjahr 2012 – etwa ein halbes Jahr vor unserem Besuch – wird er von Nachbarn entdeckt.
Die informierten Behörden scheinen hilflos. In unserem Haus „Glaube und Licht“ sehen sie die einzige Möglichkeit für diesen jungen Menschen. Zusammen mit 27 weiteren elternlosen Kindern und Jugendlichen – geistig behindert, schwerst-mehrfach behindert oder traumatisiert – wird er von acht Erzieherinnen liebevoll betreut. Schnell hat er gelernt, fast selbständig auf seinen Rollstuhl zu klettern und mit ihm zu fahren. Seine Nahrung schmeißt er jedoch noch immer auf den Boden, um sie zu essen.
2013
Das Zusammenleben mit den Erzieherinnen und 27 weiteren jungen Menschen stellt ungewohnte und hohe soziale Anforderungen an den höchst traumatisierten Jungen. Am liebsten liegt er auf der Wiese vor dem Haus in der Sonne, die er in seiner Kindheit so lange hat entbehren müssen.
Besonders angefreundet hat er sich mit Michel (re.), einem gleichaltrigen Jungen mit Autismus. Beide sind ohne aktives Sprachvermögen, beide vermeiden den gegenseitigen Augenkontakt, aber immer wieder suchen sie Nähe und ihre Hände tasten vorsichtig einander ab.
2013
Besuch aus Italien
Die Bewohner in „Glaube und Licht“ hatten Besuch aus Italien. Drei Ärztinnen aus dem Kinderkrankenhaus Gaslini in Genua haben im Rahmen eines Auslandseinsatzes zwei Wochen lang mit Jugendlichen in unserem Haus gearbeitet. Roberta Biancheri, Ilaria Pernigotti und Francesca Dirovasenda, Fachärztinnen für Neurologie und Physikalische und Rehabilitative Medizin haben sich ganz besonders um Evelyne und unsere Neuzugänge Prince und Benigne bemüht. Sie haben tägliche krankengymnastische und physiotherapeutische Übungen mit den Kindern durchgeführt und die Erzieherinnen angeleitet, diese fortzuführen. Sie haben die Rollstühle der drei schwerstbehinderten Kinder umgebaut, ergonomisch angepasst und neue Förderkonzepte entwickelt.
Sie sind Mitglieder bei „Komera Rwanda“, einer italienischen Organisation, die vor einigen Jahren von Ilarias Vater gegründet wurde, und immer mal wieder Ärzte nach Ruanda entsendet. Zusammen mit allen Bewohnern unseres Hauses sind wir ganz glücklich, dass diese so kompetenten Fachleute zwei Wochen lang unentgeltlich ihr Wissen, ihre Erfahrung und ihre Kraft für unsere Schützlinge investiert haben.
Und auch unser Betreuungspersonal hat ganz enorm profitieren können. Vergessen wir nicht: Es sind keine Sonderpädagogen oder Physiotherapeuten, sondern Menschen, die ihre Liebe zu den oft von anderen aufgegebenen Kindern zu ihrer Berufung gemacht haben. Vier von ihnen, haben kein eigenes Zuhause; sie leben Tag und Nacht in „Glaube und Licht“.
2014
Aus dem „Besuch aus Italien“ ist mittlerweile eine wertvolle und fruchtbare Zusammenarbeit geworden. Ilaria und Francesca waren im Mai 2014 erneut in „Glaube und Licht“ und haben die orthopädischen und physiotherapeutischen Programme fortgesetzt und individuelle Pläne zur motorischen Förderung erstellt.
2016
Neben der medizinischen Betreuung und Ihren Arbeitseinsätzen vor Ort konnten unsere italienischen Partner auch immer mehr dafür gewonnen werden, die Finanzierung des Projektes zu übernehmen.
2016
Die Bewohner und Erzieherinnen des Hauses „Glaube und Licht“ haben weitere Freunde gefunden. In diesem Jahr nun konnten wir unsere Finanzierung auslaufen lassen. Das Haus Glaube und Licht steht nun auf eigenen Füßen, was für ein toller Erfolg! Wir freuen uns darüber sehr! Auch weiterhin bleiben wir dem Heim durch unseren Vertreter in Ruanda, Père Anastase, in Freundschaft verbunden.
Haben Sie Fragen, wenden Sie sich bitte an jk@afrika-hilfe-stiftung.de oder Johannes Küpperfahrenberg T. 02 3 24 / 42 2 83